Der US-amerikanische Chemiker und zweifache Nobelpreisträger (1954 Chemie, 1962 Frieden) Linus Carl Pauling (1901 – 1994) sorgte in den 1970er Jahren in Fachwelt und Öffentlichkeit für Aufsehen mit seinen zum Themenkomplex „Prävention durch Einnahme von hochdosierten Vitaminen“ aufgestellten Thesen.
Insbesondere seine Behauptung, dass regelmäßige Zufuhr von Vitamin C helfen könne, viralen Infektionen und sogar bösartigen Tumorerkrankungen vorzubeugen, stieß auf zum Teil heftige Kritik und führte zu nicht selten polarisierenden Reaktionen. Nichtsdestotrotz ist es Linus Pauling zu verdanken, dass der von ihm mitgeprägte Begriff der „Orthomolekularen Medizin“ Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs gefunden hat.
Das Therapiekonzept der Orthomolekularen Medizin
Der Fachterminus „orthomolekular“ ist eine Wort-Konstruktion, deren Elemente sich vom griechischen Adjektiv „orthos“ („richtig“) sowie von der französischen Verkleinerungsform „molécule“ des lateinischen Substantivs „moles“ („Masse“) im Sinne von „kleinster Baustein“ ableiten. „Orthomolekular“ meint auf die Ernährung bezogen „die richtigen Nährstoffe“. Pauling stellte die Veränderung dieser üblicherweise im menschlichen Körper vorhandenen „richtigen Nährstoffe“ als Therapieansatz in das Zentrum seiner Definition von Orthomolekularer Medizin. Er war überzeugt davon, dass durch die richtige Dosis dieser Mikronährstoffe zur Gesundheitssicherung wesentlich beigetragen werden kann beziehungsweise Krankheiten erfolgreich behandelt werden können. Zu diesen etwa 40 Mikronährstoffen zählte Pauling insbesondere Mineralstoffe, Spurenelemente, essentielle Fettsäuren und vor allem Vitamine.
Folgen von Mikronährstoffmangel
Die Anhänger des Orthomolekular-Konzepts gehen davon aus, dass ein störungsfreies Funktionieren der Stoffwechselvorgänge regelmäßig nur dann gewährleistet ist, wenn die lebensnotwendigen Mikronährstoffe in erforderlicher Menge im Körper vorhanden sind. Da die meisten Mikronährstoffe nicht im Organismus selbst synthetisiert werden können, müssen sie ständig über die Nahrung zugeführt werden. Ist diese Zufuhr über längere Zeiträume nicht gesichert, entstehen Mikronährstoffdefizite, die, so die Anhänger des Orthomolekular-Konzepts, zur einer Gefahr für die Gesundheit werden und eine Schwächung der Abwehrkräfte im menschlichen Körper verursachen können.
Sind in der Dritten Welt zumeist prekäre Ernährungssituationen, wie dauerhafter Nahrungsmittelmangel, Ursache für Nährstoffmangel, so tragen andere Faktoren dazu bei, dass die Gefahr des Mikronährstoffmangels auch in Wohlstandszonen besteht. Dabei spielen mindere Nährstoffqualitäten bei Nahrungsmitteln, die durch bestimmte Anbau-, Lagerungs- und Konservierungsmethoden verursacht werden, ebenso eine wichtige Rolle wie falsche Ernährungsgewohnheiten: Übermäßiges Essen und Trinken, zuviel Salz und Zucker können zu Mikronährstoffmangel führen. Typische mit Nährstoffdefiziten in Verbindung gebrachte so genannte „Zivilisationskrankheiten“ sind Diabetes, Gicht, Arteriosklerose und Osteoporose.
Anwendungsgebiet der Orthomolekularen Medizin
Die in den USA bereits seit 1987 als ein die Schulmedizin flankierendes Therapieverfahren offiziell anerkannte Orthomolekulare Medizin kommt in erster Linie für Vorbeugungsmaßnahmen und bei der Behandlung chronisch gewordener Erkrankungen zum Einsatz. Durch die Zufuhr bestimmter Mikronährstoffe in hoher Dosierung wird versucht, Einfluss auf die krankhaften Prozesse im Körper zu nehmen. Wegen der Komplexität der zu behandelnden Erscheinungen wird in der Regel nicht nur ein Nährstoff verabreicht, sondern eine Kombination aus mehreren Mikronährstoffen. So sind auf dem Markt zum Beispiel Spezialkombinationen für die Behandlung von Rheuma und Arthrose, zur Stärkung des Immunsystems sowie für die besonderen Bedürfnisse von Schwangeren und Sportlern erhältlich.
Grundlage für die Behandlung des jeweiligen Patienten ist der Überblick über seine latenten oder auch manifesten Defizite bestimmter Mikronährstoffe. So ist es für das Krankheitsbild eines Diabetikers charakteristisch, dass sein Vitamin-C-Plasma-Spiegel in der Regel um ein Drittel niedriger liegt als bei einem gesunden Nicht-Diabetiker. Gezielte zusätzliche Vitamin-C-Zugaben sollen Komplikationen, wie zum Beispiel Linsentrübungen, verhindern helfen. Auch bei starken Rauchern kann von einem Vitamin-C-Mangel ausgegangen werden.
Wissenschaftliche Absicherung des Orthomolekular-Konzepts
Die Forschungslage lässt es zurzeit nicht zu, die Wirksamkeit der Verabreichung von hohen Dosen von Mikronährstoffen generell als seriös belegt oder widerlegt bezeichnen zu können. Bei vielen Mikronährstoffen fehlt es dazu an Studien. Bei einigen anderen Substanzen gilt deren orthomolekulare Wirksamkeit im Prinzip aber als unstrittig. Dazu gehört das „Lieblingsvitamin“ von Linus Pauling, das antioxidative Vitamin C, ebenso wie Vitamin E. Eine umfangreiche Studie der Harvard University bewies, dass hochdosierte Vitamin-E-Gaben zu einer erheblichen Verminderung des Herzinfarkt-Risikos führen. Vitamin C hat sich nach dieser Studie als überaus wirksam bei der Behandlung von Atemwegserkrankungen. Grauem Star und Koronarer Herzkrankheit erwiesen. Nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Orthomolekulare Medizin (DGOM) haben sch hochdosierte Magnesium-Präparate hervorragend bei der Migräne-Vorbeugung bewährt.
Zulassung und Übernahme der Kosten
Wegen des Fehlens in Deutschland anerkannter Wirksamkeitsnachweise übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nicht die Kosten für orthomolekulare Präparate.