Krebspatienten werden selbst im Endstadium ihrer Erkrankung häufig mit einer Chemotherapie behandelt. Ein Team von Wissenschaftlern aus den USA hat sich nun die Frage gestellt, ob eine solche Behandlung in den letzten Lebenswochen und -monaten für die Betroffenen überhaupt Sinn macht. Relevant für diese Untersuchung war, ob die Chemotherapie einen Einfluss auf die Lebensqualität hat und ob sie das Leben der Krebskranken verlängert. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer Studie im Fachjournal Jama veröffentlicht.
Die Chemotherapie hat nicht nur Anhänger. Vor allem Angehörige, einige Mediziner und in manchen Fällen auch die Betroffenen hegen Zweifel, ob eine Chemotherapie insbesondere im Endstadium einer Krebserkrankung zur Besserung der Lebensqualität beiträgt. Immerhin stellt eine solche Behandlung für den Körper der Betroffenen eine große Belastung dar.
Das Wissenschaftler-Team um Dr. Holly Prigerson, das sich mit der Fragestellung, ob eine Chemotherapie einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten nimmt, auseinandersetzte, führte seine Untersuchungen am New York Prexbyterian Hospital durch. Der Zeitraum erstreckte sich vom September 2002 bis zum Februar 2008. Die Teilnehmer an dieser Studie befanden sich in unterschiedlicher körperlicher Verfassung. Insgesamt nahmen 661 Krebspatienten teil, die im Durchschnitt 68,6 Jahre alt waren und im Schnitt 3,8 Monate lang beobachtet wurden. In diesem Zeitraum starben mit 58 Prozent etwas mehr als die Hälfte aller teilnehmenden Patienten.
Nicht alle Studienteilnehmer erhielten jedoch eine Chemotherapie, sondern lediglich die Hälfte von ihnen. Unter ihnen waren in erster Linie diejenigen, die körperlich noch relativ fit waren. Auskunft über ihre Lebensqualität in der letzten Lebenswoche gab nach dem Tod das Pflegepersonal.
Zur Bewertung des Gesundheitszustands von Krebspatienten verwendet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die sogenannte „ECOG“-Skala, die den Zustand in den Stufen 1-5 angibt. Je schlechter der Zustand, desto höher wird der Patient eingestuft. 1 bedeutet, dass der Patient noch gehfähig ist, leichtere Arbeiten verrichten kann, nach körperlicher Anstrengung aber erschöpft ist. Patienten der Stufe 2 sind in der Hälfte ihrer Wachzeit noch fähig aufzustehen, gehfähig und können sich noch selbst versorgen, sind jedoch nicht mehr arbeitsfähig. In der Stufe 3 ist die Selbstversorgung dann kaum noch möglich und die Patienten sind während ihrer Wachzeit in der Regel auf das Bett oder zumindest einen Stuhl angewiesen.
Bei den Patienten, deren Gesundheitszustand auf 2 oder 3 anzusiedeln war, zeigte die Chemotherapie in der letzten Woche vor dem Tod keine merkliche Veränderung der Lebensqualität. Interessant ist jedoch, was die Wissenschaftler bei den noch relativ fitten Stufe-1-Patienten beobachten konnten: Bei ihnen verschlechterte sich der körperliche Zustand zusehends, wenn sie sich einer Chemotherapie unterzogen. Unabhängig von diesem verschlechterten körperlichen Zustand wurde das Sterberisiko der Krebspatienten durch die Chemotherapie jedoch nicht erhöht.
Aus dieser Beobachtung zogen die Wissenschaftler das Fazit, dass sie die allgemeine medizinische Empfehlung, Krebspatienten auch im Endstadium mit Chemotherapien zu behandeln, nicht untermauern konnten. Viel mehr müsse man sich fragen, für welche Patienten eine solche Behandlung sogar schädlich sein kann. In ihrer Studie hatte sich zwar nicht der Zeitpunkt bist zum Tod verändert, jedoch erlitten die körperlich fittesten Patienten durch die Chemotherapie erhebliche Einbußen in ihrer Lebensqualität.
Diesem Ergebnis stimmen auch Dr. Charles Blanke und Dr. Erik Fromme, beide Onkologen an der Oregon Health and Science University in Portland, zu. Sie setzen sich dafür ein, dass Krebspatienten ab etwa sechs Monaten vor dem erwarteten Tod nicht mehr mit Chemotherapien behandelt werden, da eine solche Therapie ineffektiv und die Nebenwirkungen größer als der Nutzen seien. Wichtiger sei es ihrer Meinung nach, im Dialog mit Betroffenen und Angehörigen Entscheidungen zu treffen, welche die letzten Lebenswochen so angenehm wie möglich gestalten.