Das Geheimnis von Entsäuern und Entschlacken
Genüsslich reibt sich der Graf seinen Bauch. „Großeinsatz von Ebbe und Flut“, sagt er zufrieden. An seiner rechten Seite liegt eine Dame auf der Poolliege. Er wendet sich zu ihr. „Ich fühle mich wie neugeboren, ganz leicht. Sie müssen das unbedingt probieren!“In den Südtiroler Bergen gibt es weder Ebbe oder Flut. Aus diesem Grund bin ich auch verwirrt. Statt Strand und Meer sehe ich einen riesigen Pool, knapp 12.000 m² Park und höre viele unterschiedliche Sprachen. In der Kurklinik „Espace Henri Chenot“ in Meran, einer der bekanntesten süditalienischen Städte, sind Italiener, Deutsche, Österreicher, Araber, Russen einquartiert. Die Stimmung ist gut, die Menschen sind entspannt. Alle tragen klassische weiße Bademäntel, plaudern vergnügt und trinken Wasser mit Limonengeschmack.Die Dame, an der Rechten des netten Herrn, ist genauso verwirrt wie ich. „Wie bitte? Gezeiten-Großeinsatz?“, fragt sie. Der Mann wird konkret. „Ich meine die Colon-HydroTherapie. Sie wissen schon, die Reinigung des Darms“, erklärt er. Was ich erst später erfahre: Der Mann ist Stammgast und, wie viele andere Gäste hier, entweder aus den Bereichen Wirtschaft, Industrie, Showbusiness oder Sport. Auch er ist – wie alle anderen Gäste – zum „Detoxen“ nach Meran gekommen.
Ob Entschlackung, Entsäuerung, Entgiftung, Revitalisierung oder Regeneration und Rejuvenation (oder auch Verjüngung) – all jene Begriffe sind die neuen Mantras der sogenannten Leistungselite. Es ist praktisch Nebensache, dass wissenschaftliche Beweise fehlen und es nicht klar ist, ob jene Behandlungen tatsächlich den gewünschten Erfolg mit sich bringen. Fakt ist, dass die Herrschaften mindestens einmal pro Jahr nach Meran kommen und ihren Körper von jeglichen Giftstoffen befreien. Das Institut sorgt dafür, dass das Immunsystem seiner Gäste wieder in Schwung gebracht, gestärkt und der Körper, der Geist und die Seele gereinigt werden. Viele Führungskräfte schwören auf Detox und planen bereits nach ihrer Abreise den nächsten Aufenthalt.
Die Ernährungsberater mit Ordinationen in Dubai und London
„Selfness“ – werde, der du bist oder auch Selbstverwirklichung – sind die Grundlagen des Detox-Geschäfts. Es gibt bereits einige Autoren, die sich explizit mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Das wohl bekannteste Buch wurde von Giulia Enders verfasst. „Darm mit Charme“, ein interessanter Titel, den die junge Medizinstudentin gewählt hat. Ein Buch, das bereits die Bestsellercharts gestürmt hat. Der amerikanische Ratgeber von Alejandro Junger, der den Titel „Clean gut“ trägt, gilt ebenfalls als „Detox-Bibel“. Viele Führungskräfte empfehlen sich – wenn sie gerade mit dem Meeting fertig geworden sind – jene Bücher und raten ihrem Gegenüber, selbst einmal diese Erfahrungen zu machen.
Während noch vor einigen Jahren Visitenkarten und renommierte Adressen von Anlageberatern getauscht wurden, haben nun Karten und Adressen von Detox-Experten Platz gefunden. Unter jenen Namen befindet sich auch Caroline Bienert. Sie selbst ist eine Ernährungsberaterin, welche in London und Dubai ordiniert.
Auch Astrid Purzer, gebürtige Münchnerin, hat sich mit „Detox Delight“ einen Namen gemacht. Die ehemalige IT-Spezialistin, die beim Microsoft-Konzern beschäftigt war, liefert nun Suppen und Säfte an die Arbeitsplätze ihrer Kunden (oder direkt an die Wohnadresse). Purzer ist nicht nur in München oder Deutschland erfolgreich; sie ist auch in Frankreich oder in der Schweiz bekannt.
Dann gibt es noch das Institut für Regenerationsmedizin (HIR) in Hamburg. In jenem Institut arbeitet Harry Finneisen. Der Toxikologe und Mikrobiologe betreut Designer, Sterneköche, Leistungssportler, Unternehmer sowie auch ganze Fußballmannschaften und die Führungsetage der Politik.
Rauchen soll, wer rauchen will
Die Detox-Kur dauert eine Woche. In dieser Woche hat der Körper Zeit, dass er „sich gesund leben kann“. Dass jene Woche in einem luxuriösen Ambiente verbracht wird, ist kein Zufall. Schlussendlich zählt nur das Beste. Während Mann in „Der Zauberberg“ noch von Sanatorien mit Liegekuren schrieb, sind sogenannte „Health Resorts“ nichts anderes als Wellnesstempel.
Die Schönen, Reichen und Einflussreichen bevorzugen in Europa zwei Adressen. Da gibt es einmal den „Lanserhof“ im österreichischen Lans und das „Espace Henri Chenot“ in Meran. Der Betreiber vom Lanserhof verfügt zudem über einen weiteren Sitz am Tegernsee in Bayern und hat seit kurzer Zeit auch einen ambulanten Ableger in der Hafenstadt Hamburg errichtet.
Der Katalane Henri Chenot, Triebkraft des „Espace“ in Meran, ist Doktor der Psychologie und Philosophie, begründete das Konzept der „Biontologie“ und ist schlussendlich der „Erfinder“ jener außergewöhnlichen Kuren. Chenot will herausgefunden haben, dass es sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Physis und der Psyche gibt und jenes Zwischenspiel aus dem Lebensstil und der Genetik, der Ernährung, der Phytotherapie sowie der Stressfaktoren und der Prävention von Krankheiten und vorzeitigen Altern besteht. Chenot ist der Überzeugung, dass kein Verbot hilfreich ist. Wer rauchen will, der soll auch rauchen. Wer viel Alkohol trinken will, sich in weiterer Folge schlecht ernährt und wenig Schlaf erfährt, der muss im Endeffekt aber damit rechnen, dass die Qualität der sogenannten Neurotransmitter, die sich im Gehirn befinden, nachlässt. Das ist auch der Grund, warum der Mensch anfälliger für Stress wird. Spätestens wenn der Darm Tryptophan „nicht mehr assimilieren kann“, sind Depressionen und das Burn Out-Syndrom nur mehr eine Frage der Zeit.
Der neue Weltwellnessgipfel
Chenot ist lupenreiner Demokrat. Das erklärt vielleicht auch seine Ansicht über aromatherapeutische Sprudelbäder oder Basenbrühen – diese sind, nach eigenen Angaben, alle gleich. In den Instituten herrscht zudem eine Einheitsuniform. Alle Gäste tragen denselben weißen Bademantel. Die einzige Ausnahme ist das Dinner. Hier wird auf eine formelle Kleidung geachtet.
Im Endeffekt reinigt sich die illustre Gesellschaft. In den Instituten findet man Oligarchen aus dem Osten, die Vertreter des Hochadels, Schiedsrichter aus den höchsten Spielklassen, Pop-Divas aus Italien, deutsche Entertainer sowie auch arabische Prinzessinnen, die mit der gesamten Entourage einchecken.
Auch ein ehemaliger Formel-1-Mogul zählt zu den Gästen. Noch hat er mit seinem XXL-Bademantel Probleme; scheint wohl ein X zu wenig zu sein. Nach einer Woche soll er aber genauso fit sein wie der berühmte österreichische Anwalt, der in der Zwischenzeit sein Mountainbike sattelt und für die nächste Tour bereit ist. Viele Gäste sind von Samstag bis Samstag anwesend. Acht Tage Entgiftung und Reinigung. Jeder Gast erhält einen eigenen Ordner, in welchem nicht nur Diagnosen, sondern auch persönliche Erfolge eingetragen werden können.
Das Basisprogramm beginnt mit dem biologischen Check-Up. Danach erfolgt das persönliche Gespräch beim Arzt, welcher in weiterer Folge Messungen sowie Bewertungen vornimmt, die sich vorwiegend mit dem oxidativen Stress befassen. Neben einer Messung des Hormonstatus, einer Überprüfung der Knochendichte sowie einer Körperimpedanzanalyse, wird auch das Verhältnis von Fett zu der Muskelmasse bestimmt. Was sein muss, muss sein – auch wenn die Wahrheit vielleicht (im ersten Moment) unangenehm ist.
Es gibt nur ein Wort – Superlativ!
Wer jetzt schon – nur vom Lesen – erschöpft ist, kann sich wohl denken, wie es den Herrschaften vor Ort geht. Man lässt sich Fangopackungen auftragen, nimmt Bäder, unterzieht sich sogenannten Hydrojetstrahl-Treatments und nimmt an Wasser- sowie Atemgymnastik-Übungen teil. Nebenbei erfährt man noch eine Lymphdrainage, eine Schröpf- und Bindegewebsmassage. Pro Tag stehen rund fünf Treatments am Programm. Dass nebenbei nicht die Schönheit verloren geht, sind natürlich Maniküre und weitere Angebote – im Bereich der Schönheitsmedizin – selbstverständlich.
Doch das Paradies auf Erden hat ein Ablaufdatum. Spätestens am dritten Tag stellt sich der klassische Kurkatzenjammer ein. Kopfschmerzen, Kreislaufprobleme, Fastenkrise, Ermattung und Missbehagen. Das liegt aber nicht an den Personen und ihrer Einstellung, sondern an den Giften, die bereits im Blut auf den Abtransport warten. Viel Wasser, Brühen und Kräutertees sollen dabei helfen, dass jene Gifte endlich aus dem Körper entweichen können. Das Essen könnte allerdings üppiger sein. Die Haute-Couture-Diät besagt, dass maximal 200 Kalorien zu sich genommen werden dürfen. Kein Wunder, dass die Menüs (auf Sternen-Niveau versteht sich) aus pflanzlichen Lebensmitteln bestehen.
In Lans sieht die Sache nicht anders aus. Durch F. X. Mayr gibt es in Österreich oder Bayern die Möglichkeit, ebenfalls eine Detox-Kur zu absolvieren. Doch hier erinnert alles an einen Zentempel – weiß, steril, schlicht. Kein Wunder, dass die Leistungselite lieber nach Meran pilgert.
Warum Milch und Semmeln verpönt sind
Der Naturarzt und Forscher Mayr erkannte bereits vor einigen Jahrzehnten, dass viele Krankheitsbilder auf Grund des desolaten Verdauungssystems entstehen. Mayr ist vor geraumer Zeit verstorben; sein „Nachfolger“ ist Dr. Christian Harisch. Er ist nicht nur Miteigentümer, sondern auch Geschäftsführer des „Lanserhofs“. Neben 18 Medizinern, die einen fixen Vertrag haben, stehen weitere 52 Konsiliarärzte zur Verfügung. Jene Anzahl soll demnächst auf 100 ausgebaut werden. Natürlich nur Koryphäen, die in Unikliniken wie Hamburg, München oder Innsbruck tätig sind (oder waren).
Im „Lanserhof“ sind nicht nur Joachim Löw (Trainer der Deutschen Nationalelf) sowie auch der russische Oligarch Roman Abramowitsch Stammkunden. Offiziell gibt es aber keine großen Berühmtheiten. Doch auch wenn keiner der Gäste (warum eigentlich nicht?) jemals im „Lanserhof“ war, kennen sie das Programm, die Räumlichkeiten und sind auf „Du und Du“ mit dem Personal. Der „Lanserhof“ kombiniert naturheilkundliche Erkenntnisse mit der modernen Medizin. Die Detox-Diät gilt nach wie vor als Herzstück. Während vor einigen Jahren noch Semmeln mit Milch verordnet wurden, sind es heute Buchweizenbrötchen oder altbackene Dinkelspeisen. Und nicht vergessen: Jeder Bissen muss mindestens 30 Mal gekaut und erst dann mit etwas Flüssigkeit geschluckt werden. Diese Kauschulung soll angeblich positive Auswirkungen auf die „Darmregeneration“ haben.
Der Gast bleibt durchschnittlich elf Tage. Ob im Haus „Tegernsee Marienstein“ oder direkt im österreichischen „Lanserhof“ spielt keine Rolle. Immer wieder betont man die technischen Fortschritte, ist stolz auf die zweite Einrichtung in Bayern und verweist auch gleichzeitig auf den neuen 18-Loch-Golfplatz sowie einen Außenpool, der natürlich mit Salzwasser gefüllt ist.