Patienten mit Darm-, Brust oder Lungenkrebs müssen heute immer teurere Chemotherapien über sich ergehen lassen. Ein Epidemiologe hat jetzt die Überlebensraten der Erkrankten analysiert. In seinem Befund stellt er fest: Die Kranken leben trotz der angeblichen Fortschritte nicht länger als ohne Therapie.
Am 24.12. wurde Frau H. ins Krankenhaus gebracht. In einer aufwendigen Operation entfernten die Mediziner einen bösartigen Tumor aus ihrem Darm und entnahmen die Milz. Im August des Folgejahres wurden Metastasen entdeckt. Daraufhin bekam Frau H. ihre erste Chemotherapie. In einer klaren Flüssigkeit aufgelöste Zellgifte flossen als Infusion in ihren Körper. Ihr schlimmster Albtraum wurde wahr, aber sie setzte viel Hoffnung in die Chemotherapie, sodass sie alles über sich ergehen ließ.In einer Klinik der Uni München arbeitet ein Arzt, der weniger optimistisch ist. Er sagt, dass die Überlebenschancen bei Metastasen in den letzten 25 Jahren nicht gestiegen sind. Der 62-jährige Epidemiologe D. Hölzel sagt das nicht ohne Grund. Er hat gemeinsam mit Onkologen die Anamnesen Tausender Patienten mit Krebs dokumentiert. Krebspatienten, die in München und den angrenzenden Regionen seit Ende der Siebziger Jahre immer nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Möglichkeiten therapiert wurden. Alle Patienten litten entweder an Darm, Lungen-, Brust- oder Prostatakrebs. In jedem Jahr gibt es in Deutschland 100.000 Todesopfer bei Patienten mit dieser Diagnose. Bei Patienten mit Metastasen ist die Chemotherapie auch heute noch die Therapie der letzten Wahl. Die im Körper verstreuten Metastaden lassen sich weder mit Bestrahlung noch mit dem Skalpell erreichen. Zellgift ist die einzige Alternative. Die Arzneimittelhersteller verlangen für die Giftkur extrem hohe Preise.
Hohe Kosten – längeres Leben?
Arzneimittelhersteller verkaufen ihr Zellgift mit dem Slogan „Chance für Lebenszeit“ oder „Dem Leben eine Zukunft geben“. Ärzte die Patienten mit einer Chemotherapie behandeln sind auch zuversichtlich. Der Arzt von Frau H. sagt auch, dass sich die Chemotherapie in den letzten 20 Jahren verbessert habe. Es lassen sich durchaus beachtliche Verlängerungen an Lebenszeit erreichen. Die aktuellen Zahlen des Krebsregisters in München sprechen jedoch eine andere Sprache. Patienten mit Krebs versterben heute genauso schnell an ihrer Krankheit wie damals. Die Kurve in der Grafik bei Patienten mit Darmkrebs zeigt eine unwesentliche Besserung an. Aber bei Brustkrebs ist die Überlebenschance im Vergleich zu damals sogar gesunken. Der Epidemiologe Hölzel geht davon aus, dass es sich um Schwankungen handelt, die wenige Aussagekraft haben. Er glaubt eher, dass die Ausweitung der Chemotherapie insbesondere bei Brustkrebs dafür verantwortlich ist, dass die Überlebenschancen sinken. Seine Aussage gilt nicht für die medikamentöse Behandlung von Lymphkrebsarten, Leukämien, Hodenkrebs, Morbus Hodgkin und Sarkomen. Diese Krebserkrankungen lassen sich immer besser therapieren und ausheilen. Was D. Hölzel sagt, trifft auch nicht auf Chemotherapien zu, die vor dem Eingriff eine Geschwulst verkleinern sollen oder nach der OP Krebszellen vernichten sollen, die im Körper verblieben sind. Die düstere Bilanz gilt nur für solide Tumore im fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Dr. Schaller, der 52-jährige Gynäkologe an der Uni Bochum stellt fest, dass für Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs die Chemotherapie praktisch nichts bringt.
Verhilft die Chemotherapie zu einem längeren Leben?
Eine vergleichende Studie gibt es nicht. Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Bei klinischen Studien vergleichen die Hersteller lediglich das neue mit dem alten Medikament. Vergleichbare Kontrollgruppen, die nicht behandelt werden, existieren nicht. Um eine Zulassung für den Markt zu bekommen, reicht es, wenn die Hersteller in Studien an Testpersonen eine statistisch belegbaren Nachweis erbringen. Das neue Medikament muss lediglich einen Vorteil gegenüber dem bisherigen Medikament haben.
Dabei sind die Medikamente, um die es geht, nicht harmlos. Chemotherapeutika der Anfangsjahre haben innerhalb weniger Wochen etliche Todesopfer unter den Patienten gebracht, sodass sie vom Markt genommen werden mussten. Auch Patienten, die heute eine Chemo über sich ergehen lassen, vergleichen die Behandlung mit einem Höllentrip. Sie verlieren die Haare, ihren Appetit, sind körperlich geschwächt und haben etliche Entzündungen. Einige Ärzte hegen inzwischen den Verdacht, dass diese Zellgifte nichts weiter können, als die Metastasen vorübergehend zum Schrumpfen zu bringen.
Auf einem internationalen Kongress in Berlin erklärte der inzwischen verstorbene Direktor der Gynäkologie der Uni Klinik Hamburg-Eppendorf schon vor 30 Jahren, dass es nachdenklich machen sollte, wenn immer mehr Ärzte ganz offiziell sagen, dass sie so eine Chemotherapie nicht mit sich machen lassen würden. Zehn Jahre darauf hat der Epidemiologe der Universität Heidelberg, Dr. Abel, öffentlich den Nutzen von Chemotherapien angezweifelt. Er hatte über ein Jahr Tausende Publikationen zum Thema ausgewertet. Tief betroffen stellte er fest, dass es bei vielen Organkrebsen keine Belege darüber gibt, dass die Lebenserwartung der betroffenen Patienten sich verlängert und die Lebensqualität eine Verbesserung erfährt. Diesen Aussagen stimmen viele namhafte Onkologen zu. Die Ausbreitung der Chemotherapie konnte den tödlichen Verlauf der Krankheit nicht stoppen. Einer der Gründe, warum die Chemotherapie zu einem medizinischen Dogma geworden ist, liegt wahrscheinlich darin begründet, dass die Ärzte gegenüber den betroffenen Patienten nicht zugeben wollen, dass sie gegenüber der Krankheit machtlos sind.
In der Vergangenheit waren die mit einer Chemo behandelten Patienten so geschwächt, dass sie im Krankenhaus Überwachung brauchten. Heute gibt es gegen die Nebenwirkungen der Chemotherapie Gegenmittel, sodass sich eine Chemo auch ambulant durchführen lässt.
Dr. Overkamp, Onkologe aus Recklinghausen, verschreibt in jedem Quartal Medikamente im Wert für 1,5 Millionen Euro an seine gut 1.000 Patienten mit der Diagnose Krebs. Die neuesten Preistreiber unter den Zytostatika sind Antikörper, die vorhandene Krebszellen gezielt erkennen sollen. Die Hersteller sehen wieder den Durchbruch, obwohl es auch hier keine Belege gibt, dass sie für die Patienten lebensverlängernd sind. Die neuen Medikamente führen aber dazu, dass die althergebrachten langsam vom Markt verschwinden.
In diesem Zusammenhang wird auch sehr gern ein Befund, den Forscher der University of Texas in Houston schon 2003 vorgelegt haben, zitiert. Demnach hat sich die Fünf-Jahres-Überlebensrate von Frauen mit Metastasen bei Brustkrebs in den 25 Jahren von 1974 bis 2000 kontinuierlich verbessert. Sie ist von anfänglich zehn Prozent auf 44 Prozent gestiegen. In dem Artikel sind alle Medikamente aufgelistet, die diesen Fortschritt ermöglichen. Die Studie hat allerdings den Haken, dass hier Frauen mit und ohne Metastasen verglichen werden, sodass ein falsches Bild entsteht. Die Autoren des Beitrags räumen in einem Satz selbst ein, dass die untersuchten Gruppen aus jüngster Zeit Patientinnen mit günstigeren Prognosen beinhalten.